In dieser Artikelserie beschäftigen wir uns mit dem Thema Veränderungsprozesse und deren Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung. Wenn Gewohnheiten aufgebrochen werden, verliert der Alltag seine vertraute Struktur – das kann dazu führen, was der Stein des Anstoßes sein kann, dass sich Mitarbeitende nach Alternativen umsehen. Veränderungsprozesse sind daher oft der Auslöser für unerwartete Dynamiken, die die Mitarbeiterbindung untergraben können. In diesem Artikel schauen wir uns dieses Phänomen etwas genauer an, im nächsten betrachten wir dann, wie Unternehmen Risiken für die Mitarbeiterbindung erkennen und gezielt gegensteuern können.
Jeder Change-Prozess ist eine Herausforderung für die Mitarbeiterbindung
Die Macht der Gewohnheiten
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Zu jedem Zeitpunkt dieses Tages könnten wir theoretisch eine unglaubliche Vielzahl von Dingen auf unglaublich viele Arten und Weisen tun. Dennoch tun wir fast jeden Tag ähnliche Dinge auf ähnliche Art und Weise. Zum Beispiel: die Reihenfolge der Morgenroutine, ob und was wir frühstücken und wie wir dabei vorgehen. Ich vermute, alle meine Leser werden hier feste Routinen haben, die semiautomatisiert ausgeführt werden können. Solche Routinen sind überlebenswichtig für uns. Sie vereinfachen unsere Welt und geben uns Handlungsorientierung. Halten Sie einen Moment beim Lesen inne und versuchen, sich vor Augen zu führen, was Sie jetzt, in diesem Moment, alles machen könnten. Auf einem Bein stehen, etwas zu essen holen, auf den Boden spucken, einen Kugelschreiber nehmen und sich das Gesicht anmalen, laut schreien, Youtube schauen, 15 Minuten Yoga machen, einen Lottoschein ausfüllen und vieles mehr.
Menschen stehen de facto zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens unendlich viele verschiedene Handlungsalternativen zur Verfügung. Wir wägen im Alltag aber nicht all diese Alternativen gegeneinander ab. Wenn wir überhaupt darüber nachdenken, was wir als Nächstes tun, dann vergleichen wir in den allermeisten Fällen Handlungsoptionen, die wir typischerweise in Situationen wie der aktuellen tun. Ich bin am Arbeiten. Schreibe ich weiter oder trinke ich erst noch einen Kaffee? Ich denke gar nicht daran, mir das Gesicht mit einem Kugelschreiber anzumalen. Das ist die Macht der Gewohnheit.
Wichtig dabei: Die Gewohnheit spiegelt sich nicht nur in den Handlungsoptionen wider, die ich beachte, sondern schon in meiner Interpretation der Situation, in der ich mich befinde, sowie in meiner Interpretation meiner eigenen Rolle, die ich in dieser Situation spiele. Dies ist ein Arbeitstag. Ich bin ein selbstständiger Change-Manager und ich bin dabei, mal wieder an meinem Blog weiterzuarbeiten. In diesem Kontext ergeben Handlungsoptionen wie “weiterarbeiten” oder “Kaffeepause” Sinn. Dieses Framing habe ich heute Morgen gewohnheitsmäßig nach dem Frühstück mühelos abgerufen. Seitdem strukturiert es meinen Tag und mein Ich in diesem Tag. So ist das an den meisten Tagen.
Müsste ich jeden Moment aufs Neue entscheiden, was der Moment zu bedeuten hat, welche Rolle ich darin spiele und was meine nächste Handlung sein soll, wäre ich nicht überlebensfähig. Es sind einfach zu viele Alternativen. Der Philosoph Husserl sprach in diesem Zusammenhang von der “Weltoffenheit” der Menschen. Ein Hundewelpe wächst immer auf und wird ein Hund. Ein Menschenbaby kann alles Mögliche werden – beispielsweise Medizinmann oder Bauer, Change-Manager oder Programmierer:in. Während wir aufwachsen, erwerben wir Gewohnheiten, die uns festlegen, die die Welt für uns “schließen”. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier!
Von Kaffeemaschinen und Mitarbeiterbindung
Bevor wir Change-Prozesse und Mitarbeiterbindung in den Blick nehmen, ein Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade umgezogen und richten Ihre Küche ein. Wohin mit der Kaffeemaschine? Vermutlich werden Sie ein paar verschiedene Stellen ausprobieren, dann finden Sie eine, die gut funktioniert: hinten links, auf der Ablage des Schranks, den Sie aus der alten Wohnung mitgenommen haben. Die Lösung ist vielleicht nicht perfekt, aber sie funktioniert. Und das Wohnzimmer will auch noch eingerichtet werden. Drei Jahre vergehen. Die Kaffeemaschine bleibt hinten links. Der Weg zum Mülleimer ist etwas weit und wenn Sie Kaffeefilter entsorgen, tropft es immer mal wieder auf den Boden, aber Sie haben so Ihre Techniken, mit dem Problem umzugehen. Die Maschine bleibt hinten links.
Dann schenkt Ihnen jemand eine neue Kaffeemaschine zum Geburtstag. Das Gerät ist nicht wesentlich größer oder kleiner als das alte, aber wenn Sie schon eine neue Maschine haben, dann finden Sie vielleicht einen besseren Platz für das Gerät. Vielleicht links von der Spüle? Aber wohin dann mit dem Mixer?
Drei Wochen später: Sie haben endlich einen neuen Küchenschrank gekauft und, da Sie so oder so schon dabei waren, die Küche renoviert und neu gestrichen. Es war sowieso mal an der Zeit. Die Kaffeemaschine steht jetzt vorne rechts. Und vermutlich wird sie da auch eine ganze Weile bleiben. Auch wenn sie da beim Gemüseschneiden manchmal etwas im Weg ist.
Der Punkt hier ist, dass in diesem Beispiel eine eigentlich kleine Veränderung von außen (das Geschenk einer neuen Kaffeemaschine) eine ganze Veränderungskaskade angestoßen hat. Genau diesen Effekt können Veränderungsprozesse in Unternehmen auch im Leben von Mitarbeitern haben. Ein wesentlicher Teil der Mitarbeiterbindung ist die beharrende Wirkung des gewohnten Alltags. Neue Prozesse, neue Tools, neue Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten – Change-Prozesse führen viele Neuheiten ein und durchbrechen Gewohnheiten. Dabei müssen die eingeführten Veränderungen von Mitarbeitern nicht als negativ empfunden werden. Die Kaffeemaschine war ja auch ein willkommenes Geschenk! Allein die Tatsache, dass sich etwas ändert, durchbricht den gewohnten Alltag und kann im Leben der Mitarbeitenden den Anstoß geben, mehr zu ändern – beispielsweise doch einmal auf Stepstone zu gehen und sich anzusehen, was es für Alternativen gibt.
Wie sollen Unternehmen damit umgehen?
Zum Thema Mitarbeiterbindung habe ich bereits einige Artikel veröffentlicht ("Change Canvas – Das Feld Beteiligte" und "ChangeTipp#02: Umgang mit Widerstand") und es gilt alles, was dort gesagt wurde. Im speziellen Kontext dieses Artikels gibt es jedoch zwei Empfehlungen, die vor allen anderen stehen:
- Seien Sie sich bewusst, wer die wichtigen Schlüsselressourcen im Unternehmen sind, die Sie auf keinen Fall verlieren wollen.
- Beziehen Sie insbesondere diese Ressourcen, soweit es geht, in den Veränderungsprozess mit ein!
Change bedeutet immer, Gewohnheiten zu ändern, die Teil der Lebenswelt der Mitarbeitenden sind. Das kann viel Energie und großes Potenzial freisetzen. Eine neue Kaffeemaschine führt gegebenenfalls zur Renovierung der ganzen Küche, eine neue Rollenbezeichnung vielleicht zum nächsten Karriereschritt bei einem neuen Arbeitgeber. Aber: Gelingt es Ihnen, Mitarbeitende auf eine bedeutungsvolle Art und Weise an Veränderungsprozessen zu beteiligen, kann es auch gelingen, diese freigesetzte Energie für Ihr Unternehmen zu nutzen. Plötzlich ziehen Mitarbeitende und Unternehmen an einem Strang und treiben positive Veränderungen gemeinsam und mit viel Energie voran. Der entscheidende Punkt ist jedoch, den von den Veränderungen betroffenen Personen einen echten Weg zu geben, diese Veränderungen mitzugestalten.
Wie dies gelingen kann, ist Thema meines nächsten Artikels!
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